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Trainingslager

Trainingslager: Sinn oder Unsinn?

Text: Bennie Lindberg, Triathlon Trainer, Triathlon Coach
Erschienen im: Tritime Magazin

Wie schön kann das Sportlerleben doch sein: Nach einer schlafreichen ruhigen Nacht führt der erste Weg in den Speisesaal des Sporthotels. Während die Details des bevorstehenden Trainingstages das Gespräch zwischen den Tischnachbarn beherrschen, wird der Bärenhunger am reich gedeckten Frühstücksbuffet gestillt. Den ganzen Tag unter südlicher Sonne schwimmen, radeln und laufen, inmitten schöner Landschaften. Sportlerherz, was willst du mehr.

Kurze Stopps beim Bäcker oder einer leckeren Kaffeebar gönnen dem Körper während des Trainings eine erforderliche Ruhepause vor dem nächsten Ortsschildsprint oder dem langen Aufstieg zur Passhöhe. Die wenigen Stunden zwischen den Disziplinen sind geprägt von einem Mittagsschläfchen im Liegestuhl auf der Terrasse, ehe am Abend das Sportlerbuffet zum Aufladen der leeren Energiespeicher ruft. Der anstrengende Tag klingt mit einem kühlen alkoholfreien Getränk mit Gleichgesinnten aus.

So oder so ähnlich stellen sich viele Ausdauersportbegeisterte die Zeit in einem Trainingslager vor … und in aller Regel ist dies auch der Normalfall. Der Markt um die reise- und trainingswilligen Triathleten ist hart umkämpft. Die Zielgruppe profitiert dabei von Profis zum Anfassen, gut organisierten Trainingscamps, Pauschalreisen und etablierten Infrastrukturen für Individualreisende, aber auch und insbesondere durch ein abwechslungsreiches Trainingsangebot. Und das Schöne dabei ist, alle Teilnehmer können sich auf den wesentlichen Grund ihres Aufenthaltes konzentrieren: auf das Training! Aber ist auch jeder Trainingsurlaub tatsächlich sinnvoll? Die folgenden fünf Gründe sprechen jedenfalls dafür:

Trainieren mit Gleichgesinnten: Die meisten Hobbyathleten freuen sich tagtäglich auf das Training und die Ablenkung von den tagtäglichen kleinen und großen Problemen im Berufs- und Privatleben. Unter südlicher Sonne fühlen sich die meisten wie ein kleiner Triathlonprofi.

Optimale Trainingsbedingungen: Schlechtes Wetter, Regen, Schnee und Eis sowie überfüllte Hallenbäder sind des Triathleten größter Feind. Was gibt es Schöneres als direkt aus dem Bett in den Pool zu fallen, um anschließend auf gut geteerten und menschenleeren Straßen die wichtigen (Grundlagen-) Kilometer abzuspulen?

Abwechslung: Gerade die erfahrenen Ausdauersportler suchen immer wieder nach neuen Impulsen und Trainingsreizen, sei es durch höhere Umfänge und Intensitäten oder lange Kraft-am-Berg- und Koppeleinheiten. Außerdem bringen das gegenseitige Pushen in der Gruppe und gemeinsame Rumpf- und Stabiübungen im Kraftraum Spaß, Freude und Abwechslung in das Trainingsprogramm.

Erholung: Auch wenn dieser Punkt auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, spielt er im Trainingsplan eine eminent wichtige Rolle, denn Verpflichtungen im Haushalt, der Familie und im Freundeskreis fallen weg. Freiräume, die aktiv zur Erholung und Regeneration genutzt werden sollten.

Simulation der Wettkampfbedingungen: Ambitionierte Triathleten überlassen nichts dem Zufall und bereiten sich immer häufiger auf der Originalstrecke ihres Saisonhöhepunktes vor, um Körper und Geist auf die klimatischen und topografischen Verhältnisse optimal einzustellen.

Grundsätzliches

Auch wenn ein Trainingslager je nach Saisonziel grundsätzlich zu jeder Jahreszeit stattfinden kann, gibt es die meisten Reiseangebote für die Monate Januar bis April, wenn in Deutschland das Wetter nicht unbedingt zum Training in der freien Natur anregt. Wenn Sie sich für ein Trainingslager entscheiden, bedeutet dies auch, dass Sie sich in diesem Zeitraum ausschließlich auf den Sport konzentrieren: Dann sind Sportklamotten anstatt Blaumann oder Anzug angesagt. Auf das Abrufen von E-Mails oder die Annahme von dienstlichen Telefonaten sollten Sie ebenfalls verzichten, bedeutet doch eine schlechte Nachricht aus dem Büro zusätzlichen Stress. Wenn neben der körperlichen Belastung auch noch private und berufliche Anforderungen auf Sie zukommen, läuft Ihr Körper rund um die Uhr unter Volldampf und wichtige Zeit für die notwendige Regeneration geht verloren. Ihr Organismus kann die unterschiedlichen Stressarten nicht unterscheiden: Stress ist Stress. Für ihn ist ein Streitgespräch mit einem Kunden oder dem Vorgesetzten gleichbedeutend mit einem schnellen 10-Kilometer-Lauf. Sobald Ihr Kopf frei ist, sind Sie auch fähig, sich auf Ihre Trainingseinheit zu konzentrieren und über sich hinauszuwachsen. Wie viel mehr an Training Sie dann tatsächlich in den zwei Wochen vertragen können, ist sehr individuell und abhängig von vielen Faktoren wie dem allgemeinen Fitnesszustand, wie viele Kilometer Sie in den ersten Wochen des Jahres bereits hinter sich haben, aber auch davon, seit wann Sie Triathlon schon aktiv betreiben. So kann beispielsweise auch ein „relativ Untrainierter“ auf dem Rennrad viele Kilometer abspulen, solange die Intensitäten auch niedrig belieben. Ähnliches gilt auch für das Schwimmen, vorausgesetzt Sie beherrschen eine gute Technik. Laufumfänge sollten jedoch grundsätzlich nicht um 10 oder 20 Prozent erhöht werden, da das Verletzungsrisiko in dieser Disziplin einfach am größten ist. Im Trainingslager sollten Sie auch darauf achten, ab und zu intensive Geschwindigkeitselemente wie kurze Sprints ohne Laktatbildung einzubauen, ansonsten können Sie zwar wie eine Diesellok ewig lange laufen oder Rad fahren, nur schneller werden Sie nicht.

Idealer Zeitpunkt?

Was aber ist der beste Zeitpunkt für ein Trainingslager? Wenn Sie einfach nur Spaß an der Bewegung haben, können Sie jederzeit ein Trainingslager durchführen. Ein kurzer Aufenthalt in südlichen Gefilden im Dezember, Januar oder Februar bringt in den dunklen Wintermonaten Abwechslung und Motivation. Hauptsache wir trainieren nur ein bisschen mehr als zu Hause, denn für die Form des im Sommer stattfindenden Saisonhöhepunktes ist es ziemlich egal, ob Sie zwei Wochen bei 20 Grad Celsius Radfahren oder daheim mit dem Mountainbike durch den Schnee fahren. Auch ist zu berücksichtigen, dass sich Umfangsteigerungen von mehr als 50 Prozent häufig mit Erkältungen und Verletzungen rächen, zumal Sie diese hohen Umfänge nach Ihrer Heimkehr neben der Arbeit nicht aufrechterhalten können und sie somit – abgesehen von einem guten Gefühl – verpuffen lassen. Eine unnötig eingefangene Verletzung hingegen gefährdet die ganze Saison.

Wenn Sie nach dem Trainingslager die Umfänge bis zum Hauptwettkampf weiter steigern möchten, sollten Sie den Zeitpunkt so wählen, dass Sie direkt nach Ihrer Rückkehr unter guten Witterungsbedingungen weiter trainieren können. Ideal eignen sich für diese Zwecke die letzten Wochen im März und Anfang April. Der Schwerpunkt sollte dann beim Radfahren auf den hohen Umfängen mit niedrigen Intensitäten liegen, während das Schwimm- und Lauftraining in dieser Zeit leicht zurückgefahren wird und eher eine formerhaltende Wirkung hat.

Inhaltlich das schwierigste Trainingslager ist das Camp, in dem Sie sich auf Ihren Saisonhöhepunkt vorbereiten. Der optimale Zeitpunkt hierfür liegt drei bis sechs Wochen vor dem Wettkampf. Die Intensitäten sind hoch, Sie bringen fast täglich Höchstleistungen, müssen aber gleichzeitig cool bleiben und erkennen, wo Ihre Grenzen liegen. Ansonsten trainieren Sie sich „in den Keller“. Hier gilt die alte Weisheit: Ein Prozent zu viel Training ist weitaus schlimmer als zehn Prozent zu wenig. Endet das Trainingslager nur wenige Tage vor Ihrem Hauptrennen, achten Sie darauf, dass das Training zum Schluss nur noch dazu dient, die Muskelspannung zu halten (Stichwort Tapering, vgl. TRITIME 3/2012, Seite 74 ff.). Stressfreie Erholung ist dann der Schlüssel zum Erfolg.

Ernährung

Neben dem Training ist ein besonderes Augenmerk auch auf die Ernährung zu legen. In einem frühen Camp zum Saisonaufbau ist es – abgesehen von Junkfood und zu vielen Süßigkeiten – „ziemlich egal“, was Sie essen. Haben Sie bei einem halbwegs abwechslungsreichen Buffet keine Scheu „zuzuschlagen“ und bewahren Sie Ruhe, wenn nach Ihrer Rückkehr zu Hause beim Blick auf die Waage ein bis zwei Kilogramm zu viel angezeigt werden. Dabei handelt es sich in aller Regel nur um Flüssigkeit, die der Körper gebunkert hat. Schließlich hat sich Ihr Organismus an die höhere körperliche Belastung gewöhnt und ein paar Reserven für die anstehenden Belastungen aufgebaut.

Wenn Sie sich auf einen Wettkampf vorbereiten, wird die Sache mit der Ernährung natürlich etwas komplizierter. Während die Umfänge langsam gedrosselt werden, erhöhen sich die Intensitäten. Der Körper schreit nach Kohlenhydraten. Dabei sollten Sie beachten, dass zu viel aufgenommene Kohlenhydrate in Fett umgewandelt und als Reserve gespeichert werden, was wiederum kontraproduktiv zur Gewichtsoptimierung ist. In meiner langjährigen Erfahrung als Trainer und Athlet hat sich folgendes Prinzip bewährt: Nehmen Sie unmittelbar nach dem Training mindestens 100 Gramm Kohlenhydrate zu sich und essen Sie während der normalen Mahlzeiten insgesamt etwas weniger als normal, dafür aber mit reichlich Proteinen. Und dann das Wichtigste: Essen Sie während der langen Trainingseinheiten etwa so viel, wie Sie auch im Wettkampf zu sich nehmen würden. So stellen Sie sicher, das die Intensitäten hoch bleiben und Sie gleichzeitig auch den „Magen- und Verdauungstrakt“ trainieren.

Train hard, stay fit and have fun!


Tritime